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Ein Fitnesscenter für die Beziehung?

Das Corona-Virus hat viele Beziehungen auf eine harte Probe gestellt. Die Paarberater Angela und Dieter Ehrenreich erklären, was emotionale Ich-Botschaften sind und wieso man die Beziehung wie ein Auto regelmäßig zum Service bringen sollte. Ein Gespräch mit Markus Deisenberger über Corona, Selbstfürsorge und Fitnesscenter für die Beziehung, geführt Anfang Oktober 2020.

Welche Auswirkungen hatte Corona auf Ihre Praxis?

Dieter: Wir hatten Mitte März eine volle Praxis und waren für die kommenden Wochen ausgebucht. Als der Shutdown kam, haben wir den Klienten sofort angeboten, die Beratung auf Video umzustellen. Aber achtzig Prozent haben abgelehnt, nur zwanzig sind geblieben. Schade, denn wir waren gut vorbereitet. Ich hatte ein Zimmer in unserem Haus als fixes Studio ausgestattet, damit wir ungestört sind.

Warum die Ablehnung?

Dieter: Das war die Sorge, dass der Kontakt, der vermeintlich notwendig ist, um in der Beratung erfolgreich zu sein, via Internet nicht hergestellt werden kann.

Angela: Im Laufe des Lockdowns waren die Menschen dann immer mehr dazu bereit, umzusteigen, aber die anfängliche Ablehnung war groß. Viele waren auch mit wirtschaftlichen Sorgen und Home-Schooling so eingedeckt, dass Beziehungsprobleme eher in den Hintergrund rückten. Die wirklichen Auswirkungen zeigen sich erst jetzt. Wir sind so voll, dass wir neue Klienten erst ab Jänner 2021 aufnehmen.

Mit der plötzlichen Rund-um-die-Uhr-Nähe während des Lockdowns mussten viele Paare erst zurechtkommen. Wie haben sich diese speziellen Herausforderungen auf die Beziehungen ausgewirkt?

Dieter: Wir haben zwei Kategorien von Paaren beobachtet: Die, deren Problem es war, dass sie überhaupt keine Zeit für ein gemeinsames Leben hatten, weil der Job z.B. viel Reisen mit sich bringt, sehr aufwändig ist oder das Paar in Schichtzeiten versetzt arbeitet. Die empfanden Corona als das Beste, was ihnen passieren konnte. Man hat sich quasi neu kennengelernt. Dann gab es Paare, wo einer oder vielleicht sogar beide Distanz suchten und beide durch Corona zusammengezwungen wurden. Für die war das eine unglaublich anstrengende Zeit.

Angela: Für diese Paare war Corona wie ein Brennglas.

Das heißt, die Probleme die schon da waren, haben sich durch Corona noch verstärkt?

Angela: Genau. Konflikte entzünden sich an der Oberfläche, an der nicht zugeschraubten Zahnpastatube oder dem nicht eingeräumten Geschirrspüler. Worum es wirklich geht, ist aber das, was auf jeder Seite unter den Alltagskonflikten liegt. Das freizulegen und die Paare dabei zu unterstützen, damit umzugehen, ist unsere Aufgabe.

Wie sieht es mit den statistischen Erfolgsaussichten aus? Wie viel Mut kann man den Leuten machen, den mühevollen Prozess einer Paartherapie auf sich zu nehmen?

Dieter: Der bekannte Paartherapeut John Gottman nennt eine Erfolgsquote von nur 15%.

Nicht sehr ermutigend.

Dieter: Das würde ich so nicht sagen. Wir sind mit dem Anspruch gestartet, dass wir als Paartherapeuten mehr Fitnesscenter für die Beziehung als kardiologische Abteilung sein wollen. Besser man geht regelmäßig hin und lässt es erst gar nicht zum Herzinfarkt kommen. Aber in Wahrheit ist es dann doch mehr Kardiologie geworden. Die Paare, die zu uns kommen, sind meisten schon am Anschlag, der Leidensdruck ist hoch. Ein Drittel der Paare ist an der Schwelle zur Trennung, und die restlichen zwei Drittel sind schwer am Zweifeln, was die Beziehung angeht. Es gibt wenige, die vorsorgetechnisch kommen. Die Frage ist auch, wie ich Erfolg definiere. Was ist eine erfolgreiche Paarberatung? Wir haben Paare beraten, die nicht mehr zusammen sind, aber heute glücklicher denn je und sich auch besser verstehen. Das würde ich auch unter Erfolg verbuchen.

Das heißt: Therapie erfolgreich, Ehe geschieden?

Angela: Wir hatten Paare, die sich während der Beratung unter Tränen und in unglaublich berührender Weise in den Armen liegend voneinander verabschiedet haben. Bei uns in der Praxis. Da tue ich mir schwer mit der Vorstellung, dass die Beratung statistisch gesehen gescheitert ist.

Es heißt, dass es meistens die Frauen sind, die eine Therapie wollen. Wenn der Mann eine Therapie will, ist es schon zu spät. Stimmt das?

Dieter: Wir haben viele Fälle, wo letzten Endes die Männer die Therapie initiieren, zugleich aber zugeben, dass die Frau das schon vor Jahren wollte. Wenn man dann mit den Frauen redet, sagen sie: „Ich wollte vor fünf Jahren. In der Zwischenzeit habe ich mich so weit entfernt, dass ich mich von der Beziehung verabschiedet habe.“

Angela: Wenn der Satz „Ich wollte eigentlich schon viel früher“ im Kennenlerngespräch fällt, ist das für uns ein Warnsignal dafür geworden, dass das eher eine Trennungsbegleitung als eine Paarberatung wird. Es stimmt also, ja.

Jede Beziehung braucht auch Freiräume. Was tun, wenn man die nicht mehr hat, weil Home-Office, Home-Schooling einen Strich durch die Rechnung machen und auch die Flucht, etwa in die nächste Bar zu gehen oder mit Freunden um die Häuser ziehen, nicht möglich ist?

Angela: Die Fragen sind: Warum will ein Partner in die Autonomie? Wieso braucht er das? Welches Gefühl liegt dahinter? Wieso tut sich der andere Partner schwer damit? Warum ist es ihm so wichtig, dass der Partner möglichst wenig mit Freunden um die Häuser zieht? Je mehr das eskaliert, desto mehr kommen wir ins „Du“. „Du schon wieder“. „Dir ist nur wichtig, dass…“ So lange wir auf diesen Ebenen sind, ist es schwierig, eine Veränderung zu erwirken.

Dieter: Die massive Fluchttendenz ist hirnphysiologisch ein Krisenbewältigungsmechanismus, eine der drei Varianten: Kämpfen, Flüchten oder Totstellen. Im Idealfall kommt es gar nicht zu dieser Eskalationsstufe.

Was tun, damit es nicht eskaliert?

Dieter: Sende emotionale Ich-Botschaften! Berichte darüber, wie es dir geht! Je mehr es der Partner als meine Selbstoffenbarung, als Führung durch mein Inneres und weniger als Kritik sieht, umso eher bauen sich diese Schichten wieder ab. Und selbst in der kleinsten Wohnung gibt es Räume, wo man ungestört ist. Stichwort: WC. Schon ein paar Mal durchzuatmen kann viel bewirken.

Haben Sie Tipps für die schwierige Zeit?

Angela: Ein großer Schlüssel ist die Selbstfürsorge. Ich bin für mich selbst und für mein eigenes Wohlbefinden selbst verantwortlich. In der Paarbeziehung tendieren wir immer dazu, die Verantwortung für das eigene Wohlbefinden an den Partner zu übertragen.

Dieter: Der andere trägt so die Schuld am eigenen Unglück. Wenn man gut für sich sorgen kann, weiß, wo die Grenzen liegen und die auch gut artikulieren kann, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass man mit Krisen- und Konfliktsituationen gut umgehen kann, wesentlich höher.

Angela: Wenn ich in meiner Mitte angekommen bin, mich wohl und wertgeschätzt fühle, fällt es mir leichter, dem Partner zuzugestehen, dass er sich auch selbst darum kümmert. Dann kriegt das eine gute Balance und schafft Stabilität.

Erinnert mich an den Druckverlust im Flugzeug. Zuerst soll man die eigene Maske aufsetzen und erst dann dem Sitznachbarn helfen. Wäre es in einer Beziehung nicht angebracht zuerst zu fragen, wie es dem anderen geht?

Dieter: Was aus diesem Klischee entsteht, dass ich irgendwann den Anspruch entwickle, dass der Partner für mein Glück und meine Zufriedenheit verantwortlich ist. Ich sorge dafür, dass es der Partnerin gut geht, damit sie sich um mich kümmern kann. Damit entsteht eine Bürde, der sie/er nicht gerecht werden kann.

In vielen Beziehungen redet man nur noch darüber, wer wann das Kind abholt, und wer wann wofür verantwortlich ist. Wann kommt der Punkt, wo man aufpassen muss, dass es nicht nur noch um Management geht?

Angela: Wenn es zu viel wird, kommen wir immer mehr in die Ebene des Funktionierens, geben uns nur noch das Staffelholz in die Hand. Was da auf der Strecke bleibt, ist, dass man sich eigentlich nicht mehr spürt. Wie geht es uns eigentlich, und in keinen Austausch darüber mehr kommt.

Aber wie kommt man da raus? Wie gelingt es, sich wieder mehr zu spüren?

Dieter: Ich glaube die meisten spüren eh, sie berichten nur nicht darüber. Wenn es gelingt, dem anderen mitzuteilen, wie es einem wirklich geht, entsteht eine andere Art von Verbindung, eine neue Qualität. Dazu gehört der Mut, sich dem anderen mit seinen Verletzlichkeiten zu offenbaren.

Abgenommen, Sie hätten einen Wunsch frei. Wie würde er lauten?

Angela: Ich würde mir ein tiefes gesellschaftliches Verständnis dafür wünschen, wie wichtig es manchmal ist, sich helfen zu lassen.

Dieter: Wir reparieren unsere Gasheizung nicht selbst, weil wir wissen, dass das außerhalb unseres Könnens liegt, aber wir haben große Scheu anzuerkennen, dass wir die Beziehung nicht selbst auf die Reihe kriegen und vielleicht mal jemanden von außen brauchen, der einen Anstoß liefert. Die Frage, ob ich mir Beratung hole, ist viel zu stigmatisiert. Viele glauben, dass müsse man doch irgendwie selber schaffen. Mein Auto bringe ich auch jährlich ins Service. Es wäre an der Zeit darüber nachzudenken, ob das nicht auch für jede Beziehung gut wäre.

Vielen Dank für das Gespräch.

Im Gespräch mit Markus Deisenberger – Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors, Erstabdruck im COCO Lifestylemagazin – 02/2020 (Oktober 2020)